Fokus: Künstlerische Vor- und Nachlässe
Das Programm von Curated by widmet sich dieses Jahr auch dem Thema künstlerische Vor- und Nachlässe. Im Rahmen der Fokustage des Festivals finden zwei neue Formate statt.
Expert*innengespräche
Im Rahmen des diskursiven Formats des Festivals werden Expert*innengespräche zwischen den Kurator*innen der Galerieausstellungen und Kunsthistoriker*innen stattfinden. Diese setzen sich kritisch mit Schwierigkeiten der kunsthistorischen Aufarbeitung und des kuratorischen Sichtbarmachens der ausgestellten künstlerischen Vor- bzw. deren Nachlässen auseinander. Künstlerische Strategien der (Selbst-)Archivierung werden hier ebenso thematisiert, wie die Rolle, die Kunstkritiker*innen, Galerien und Museen in diesen Prozessen spielen. Diese Gespräche werden live vor Ort in den Galerien stattfinden. Später werden sie als Podcasts auf der Curated by Website, Spotify und Apple Podcasts verfügbar sein.
Symposium
Das jährliche Wiener Galerienfestival, Curated By, wird dieses Jahr von einem Symposium begleitet, das sich künstlerischen Vor- und Nachlässen widmet. Es eröffnet ein öffentliches Forum, um die Beziehungen von Kunstobjekten, Kulturinstitutionen (Galerien, Museen), Kunsthistoriker*innen, und Universitäten zu untersuchen.
Das Symposium greift Noit Banais Begriff der „untold narratives“ auf und widmet sich den folgenden Fragen: Was sollten Künstler:innen beachten, wenn sie ihre Werke heute im digitalen Zeitalter archivieren? Wie und warum [nicht], werden bestimmte künstlerische Werkkörper für Kulturinstitutionen, wie Galerien und Museen, bedeutsam? Und welchen Mehrwert fügt eine kritische, analysierende, und selektive Praxis der Kunstgeschichtsschreibung bestehenden Kunstobjekten und Sammlungen hinzu?
Die Panels und die abschließende Roundtable-Diskussion thematisieren etablierte Praktiken der Institutionalisierung und Historisierung von zeitgenössischer Kunst, um symbiotischere Kollaborationen zwischen den Akteuren in der Kunstwelt denkbar zu machen. Der Tag widmet sich folgenden Themen: der globalen Politik von zeitgenössischen Kunstinstitutionen und Archiven; der Praktikabilität der Archivierung; den Vorpraktiken des Historisierens und Sammelns; und der Pflege, Verbreitung und Ausstellung künstlerischer Archive von Performancekünstler*innen.
Symposium: Untold Narratives -
Künstlerische Vor- und Nachlässe
Datum: 5. Oktober 2024, 10.00 – 18.00 Uhr
Ort: Akademie der Bildenden Künste Wien, Sitzungssaal, Erdgeschoss
Sprache: Englisch und Deutsch
Kuratiert und Organisiert von Dr. Lisa Moravec – Curated By
& dem Österreichischen Forum für Vor- & Nachlässe bildender Kunst*
Mit freundlicher Unterstützung von BMKöS und Bildrecht.
Programm
Dr. Ingeborg Ehrhart, Vize-Rektorin für Kunst und Lehre, Akademie der Bildenden Künste Wien
Mag. Olga Okunev (BMKöS, Leiterin Bildende Kunst, Design, Mode, Foto, Medienkunst)
Dr. Lisa Moravec (Kunsthistorikerin, Kritikerin, Kuratorin)
The (E)State of the Archive: Border Crossings, Translations, Dialogical Imaginations
Dr. Noit Banai
(Professor für Diasporaästhetik, Akademie der bildenden Künste Wien; Kunsthistorikerin, Kritikerin und Kuratorin, spezialisiert auf moderne und zeitgenössische Kunst im globalen Kontext)
Indem wir das Archiv erschließen, betreten wir eine Genealogie von Konzepten, die die Institution der zeitgenössischen Kunst beleben und verschiedene soziale, politische und kulturelle Vorgänge regulieren, die auf lokalen, nationalen und globalen Bühnen lesbar werden wollen. Vor dem Hintergrund ungleicher Bedingungen des Neoliberalismus, techno-vermittelter Identitätsformen, Techniken des erzwungenen Konsenses und der Prämisse, dass Archive relationale, kontingente, intern vielfältige und dynamische Apparate sind, wirft dieser Vortrag die Fragen auf: Was können Künstlerarchive tun? Und was können verschiedene Protagonisten mit Archiven machen?
Noit Banai ist Kunsthistorikerin, Kritikerin und Kuratorin, spezialisiert auf moderne und zeitgenössische Kunst im globalen Kontext. Während ihrer Lehrtätigkeit an Universitäten und Kunstakademien auf der ganzen Welt hat sie eine kunsthistorische Forschung zu den Bedingungen von Migration, Exil, Diaspora, Grenzregimen und Staatenlosigkeit entwickelt. Ihr aktuelles Buchprojekt, “Stateless: Artistic Life in Shanghai, Hong Kong, and Singapore, 1933-1953“, analysiert die visuelle und materielle Aushandlung der Staatenlosigkeit durch europäische jüdische Flüchtlinge, die in Ost- und Südostasien Zuflucht fanden, sowie durch Bagdad-, persische und russische Staatenlose Juden, die dort seit Mitte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts lebten. Sie ist außerdem Autorin von Yves Klein (Reaktion Books, 2014), Being a Border (Paper Visual Arts, 2021) und Artikeln, die in Zeitschriften wie Third Text, Stedelijk Studies, Public Culture, Performing Arts Journal und Texte zur Kunst erscheinen. Sie war stellvertretende Herausgeberin der Zeitschrift RES: Anthropology and Aesthetics und schreibt regelmäßig Beiträge für Artforum International.
Praktikabilität: Künstlerische Vor- und Nachlässe
Einleitende Worte von Sabine Haag und Günter Schönberger (Bildrecht)
Österreichisches Forum für Vor- & Nachlässe bildender Kunst
(Mag. Elisabeth Gottfried und Dr. Susanne Neuburger)
Das Österreichische Forum für Vor- & Nachlässe bildender Kunst beschäftigt sich seit der Vereinsgründung im Frühjahr 2024 mit der Errichtung einer bundesweit wirkenden Beratungs- und Vernetzungsstelle. Im Rahmen des Symposiums stellt es seine Ziele und Anliegen vor. Als Vorzeigemodell freuen wir uns, die Schweizerische Beratungsstelle für Künstlernachlässe bei SIK ISEA persönlich begrüßen zu dürfen.
Susanne Oehler, lic. phil.
(Beratungsstelle für Nachlässe von Kunstschaffenden, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA), Zürich)
«Was bleibt? Ein Praxisbericht der Schweizerischen Beratungsstelle für Nachlässe von Kunstschaffenden am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA)
Das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) wurde 1951 in Zürich als gemeinnützige Stiftung zur Dokumentation und Erforschung des historischen und aktuellen Kunstschaffens in der Schweiz gegründet. 2016 eröffnete SIK-ISEA eine Beratungsstelle für künstlerische Nachlässe. Diese bietet kostenlose Beratungen, regionale Workshops und Informationen zum Umgang mit Vor- und Nachlässen von Künstlerinnen und Künstlern an. Mittlerweile hat die Beratungsstelle mit weiteren Aussenstellen in Lausanne und Lugano über 450 Anfragen bearbeitet und landesweit mehr als ein Dutzend praxisorientierte Veranstaltungen durchgeführt, sowie einen zweisprachigen Ratgeber veröffentlicht. Diese praxisorientierten Dienstleistungen wollen ratsuchenden Mut machen, sie anleiten, unterstützen und sie gleichzeitig auch vor Illusionen bewahren.
In meinem Vortrag stelle ich die verschiedenen Aktivitäten der Beratungsstelle vor; beleuchtet wird dabei auch die im Umgang mit künstlerischen Vor- und Nachlässen oftmals anzutreffende Diskrepanz zwischen Wunschvorstellungen und der Realität des Kunstbetriebs. An einem ausgewählten Beispiel präsentiert der Vortrag eine Erfolgsgeschichte bei der Aufarbeitung und Sichtbarmachung eines künstlerischen Nachlasses.
Susanne Oehler (*1973) was a research assistant in the research project Biennale Venedig. Switzerland's involvement, 1920-2013. From 2012-2014 she was an editor in the art history department of SIK-ISEA. 2014–2017, she was the managing director of a restaurant in Domleschg GR. Since January 2018, she in charge of for all event formats and the association to promote SIK-ISEA. Since April 2021, she has also worked for the institute as a research assistant at the Swiss Advice Center for the Estates of Artists.
Vorpraktiken: Historisieren und Sammeln (DE/ENG)
Dr. Sebastian Egenhofer (Professor für Moderne und Zeitgenössische Kunst, Universität Wien)
„Drei Fälle“
Der Vortrag berichtet aus der Perspektive der Lehre und Forschung von drei Fällen künstlerischer Nachlässe: Zu Walter Angerer-Niketa (1940-2021) und zu Andreas Campostellato (1959-2015) entstehen bereits Masterarbeiten, z.T. symbiotisch mit der Nachlasserschließung verbunden. Die Nachlässe von Georg Merkel (1881-1976) und Louise Merkel-Romée (1888-1977) werden derzeit von der Urenkelin des Paars aufgearbeitet. Nach Masterkandidatinnen, die über das interessante Material arbeiten wollen, suche ich noch. Die drei Beispiele zeigen charakteristisch die Schwierigkeiten und Chancen, die mit der Forschung zu wenig bearbeitetem und noch nicht vollständig erschlossenem Material verbunden sind.
Sebastian Egenhofer ist Professor für moderne und zeitgenössische Kunst an der Universität Wien. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Verhältnis der Kunst der Moderne und Gegenwart zur kapitalistischen Produktionsweise. Seine neuere Forschung konzentriert sich auf die ökologische Wende in der zeitgenössischen Kunst und ihre lange Vorgeschichte. Im Zentrum steht die Frage, wie sich die künstlerische Repräsentation zu anderen Instanzen der technischen Vermittlung von Natur verhält. Ein aktuelles Forschungsprojekt untersucht unter diesem Aspekt den Wandel der ortsspezifischen Kunst seit den 1970er Jahren.
Christian Huemer, PhD (Director, Belvedere Research Centre)
„Das Archiv als Knotenpunkt des (digitalen) Wissenstransfers”
In einer zunehmend digitalen Welt werden Archive zum zentralen Knotenpunkt des Wissens und der kulturellen Praxis. Historisch war das Archiv ein Ort der Bewahrung, Sicherung, und Ordnung materieller Kultur. Es stellte Zeugnisse künstlerischer Schaffensprozesse für zukünftige Generationen bereit. Mit dem Übergang zu digitalen Medien und Technologien erfährt das Archiv eine grundlegende Transformation. Im digitalen Raum fungiert es nicht nur als Speicherort, sondern auch als dynamischer Ort des Wissens- und Kulturtransfers. Am Beispiel des Belvedere Research Center beleuchtet dieser Impulsbeitrag das Archiv als interaktiven Ort der Wissensgenerierung, an dem analoge und digitale Informationen miteinander verknüpft werden. Den Grundstock des Belvedere Archivs bilden neben den nahezu vollständig erhaltenen Hausakten seit 1903 die Nachlässe der Kunsthistoriker Hans Ankwicz-Kleehoven, Rudolf Schmidt, und Werner J. Schweiger, aus denen im Laufe der Jahre eine umfassende Künstler*innendokumentation zu mehr als 20,000 Personen hervorgegangen ist. Diese Basisinformationen wurden wiederum in die Union List of Artist Names (ULAN) der Getty Vocabularies eingepflegt, damit diese als weltweit verwendete Normdaten der Auffindbarkeit österreichischer Kunst dienen können. Gerade im Hinblick auf den Wissenstransfer zwischen Generationen, Disziplinen, und Institutionen wird das Archiv zu einem Ort der Vernetzung, an dem nicht nur Wissen bewahrt, sondern auch kollaborativ neues Wissen generiert wird. Doch wie beeinflussen digitale Werkzeuge die Archivierung und den Zugriff auf künstlerische Bestände? Wie verändert sich die Rezeption und Nutzung von Archiven durch neue multimediale Plattformen und neue Erschließungsstandards? Der Beitrag versucht den Prozess des Transfers von analogem zu digitalem Wissen und die sich daraus ergebenden Chancen und Herausforderungen für die Kunst- und Kulturszene zur Diskussion zu stellen.
Christian Huemer ist Leiter des Belvedere Research Center. Er studierte Kunstgeschichte in Wien, Paris, und New York, wo er zum Thema Paris – Vienna: Modern Art Markets and the Transmission of Culture (1873–1937) promovierte. Kuratorische Praktika am Solomon R. Guggenheim Museum und am Museum of Modern Art in New York. Er hatte Lehraufträge unter anderem am Hunter College in New York, am Sotheby‘s Institute of Art in Los Angeles, und an der Universität Wien. Von 2008 bis 2017 zeichnete Christian Huemer für die Weiterentwicklung der Getty Provenance Index®-Datenbanken verantwortlich. In diesem Zusammenhang organisierte er Forschungsprojekte wie Markt und Macht. Der Kunsthandel im ‚Dritten Reich‘ (De Gruyter 2017) oder London and the Emergence of a European Art Market, 1780–1820 (Getty Publications 2019). Editor-in-Chief des Belvedere Research Journal und der Brill-Buchreihe Studies in the History of Collecting & Art Markets. Vorstandsvorsitzender DArtHist Austria – Netzwerk für Digitale Kunstgeschichte in Österreich.
Andrea Neidhöfer (basis wien – Archiv und Dokumentationszentrum)
„Nachlasskonzepte am Archiv und Dokumentationszentrum basis wien“
Das Archiv- und Dokumentationszentrum basis wien verfügt über einen einzigartigen Bestand an Künstler*innenmaterialien, Publikationen und Schriftgut zum Feld der Kunst im österreichischen Kontext. Seit den 1990er Jahren wird diese kontinuierlich wachsende Sammlung an Materialien über eine detaillierte Datenbank erschlossen und online als Nachschlagewerk zur Verfügung gestellt. Die Institution dient zugleich als Archiv, Servicestelle und Forschungsinstitut. Im Zuge dieser spezifischen Dokumentationstätigkeit sieht sich basis wien immer häufiger mit Fragen zur eigenen Werkdokumentation sowie zum Umgang mit Vor- und Nachlässen konfrontiert. In den letzten Jahren wurden für mehrere Nachlässe – mit unterschiedlichen Kooperationspartnern – individuelle und nachhaltige Konzepte entwickelt, die im Rahmen des Panels kurz vorgestellt und diskutiert werden sollen. Zudem wird über die verstärkte Nutzung der basis wien Datenbank zur Erschließung und Sichtbarmachung dezentral gelagerter Bestände berichtet. Als Teil eines internationalen Netzwerks von Archiven, Forschungseinrichtungen und Museen (seit 2017 hat basis wien die Leitungsfunktion des Netzwerks european-art.net (EAN) inne), steht basis wien im Austausch mit Nachlassinitiativen im In- und Ausland.
Andrea Neidhöfer studierte Kunstgeschichte an der Universität Wien und lebte von 2004 bis 2008 in Shanghai, wo sie unter anderem als Kuratorin im Museum of Contemporary Art Shanghai (MoCA Shanghai) tätig war. Seit Ende 2008 arbeitet sie im Archiv des Dokumentationszentrums für zeitgenössische Kunst basis wien. Dort ist sie für Projekte zur datenbankgestützten Dokumentation und digitalen Archivierung zeitgenössischer Kunstproduktion verantwortlich und vertritt basis wien auf Konferenzen und in Netzwerken im In- und Ausland. 2017 übernahm sie die Projektleitung des Archivnetzwerks European-art.net. Derzeit koordiniert sie das Creative Europe Projekt Art Archives Study.
Dissertationsprojekt
Stefanie Pirker, MA (Paris-Lodron Universität/University of Brighton)
„Das Fragment als Tatbestand: zur Aufarbeitung des fotografischen Nachlasses von Edith Tudor-Hart“
Der Nachlass der österreichisch-britischen Exilfotografin Edith Tudor-Hart ist gleichermaßen intrikat wie ihre Lebensgeschichte. Geboren als Edith Suschitzky am 28. August 1908 in Wien und gestorben am 12. Mai 1973 in Brighton, war sie eine zentrale Protagonistin der sozialdokumentarischen Fotografie zwischen 1930 und 1955. Sie wies auf gesellschaftliche Missstände hin, behandelte Themen wie Armut, Integration und Frauenrechte und portraitierte die Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse. Als Bauhaus-Studentin und ausgebildete Montessoripädagogin, beinhaltet ihr Werk zudem avantgardistische Elemente des Neuen Sehens und leistet einen enormen Beitrag zur Darstellung progressiver Erziehungsmethoden, modernistischer Architektur und des modernen Tanzes. Aus einer säkularen jüdischen Familie in Wien stammend und als überzeugte Kommunistin und alleinerziehende Mutter, zeugt Edith Tudor-Harts Biografie von politischer Verfolgung, Brüchen und persönlichen Schicksalsschlägen. Ihre nie ganz geklärte Rolle bei der Rekrutierung der sowjetischen Spionagegruppe Cambridge Five lädt noch heute zu einem vielschichtigen Interesse an ihrer Person ein. Teile ihres fotografischen Materials wurden zerstört, gingen verloren und wurden nach ihrem Tod über mehrere Standorte verteilt. Die sukzessive Übergabe ihres Nachlasses an das FOTOHOF>ARCHV in Salzburg ermöglichte nun die erweiterte Aufarbeitung eines äußerst diversen Materials von Negativen, Abzügen unterschiedlichen Alters, archivarischer Printmedien, privater Dokumente und Sekundärquellen. Als langjährige Mitarbeiterin am FOTOHOF, selbständige Kunsthistorikerin und Dissertantin zum Werk Edith Tudor-Harts, kommt mir dabei eine vielgestaltige Rolle zu. Die direkte institutionelle Arbeit am Material und die private länderübergreifende Recherche, lassen das Archiv als fluides Gebilde erkennen. Doch wie umgehen, mit dem fragmentarischen Charakter eines sich ständig verändernden Nachlasses? Diese Präsentation soll Einblick bieten in die formalen und inhaltlichen Besonderheiten einer sich über Grenzen hinweg erweiternden fotografischen Position und die Chancen und Herausforderungen thematisieren, welche diese Form der multifunktionellen Nachlassaufarbeitung birgt.
Stefanie Pirker, M.A., M.Sc. (*1992 in Kitzbühel, Österreich) ist freie Fotohistorikerin, Kuratorin und Mitglied am FOTOHOF in Salzburg, wo sie mit der Aufarbeitung fotografischer Vor- und Nachlässe betraut ist. Nach dem Studium der Kunstgeschichte und Geografie, promoviert sie derzeit zum fotografischen Werk der österreichisch-britischen Exilfotografin Edith Tudor-Hart an der Paris-Lodron-Universität Salzburg und der University of Brighton. 2024 kuratiert sie die Edith Tudor-Hart Retrospektive „Ein klarer Blick in turbulenten Zeiten“ am FOTOHOF in Salzburg und eine Ausstellung über Edith Tudor-Harts Werk für Isokon Flats an der Isokon Gallery in London und wirkte an entsprechenden Buchpublikationen mit. Als angewandte Fotografin ist sie mit der direkten Arbeit am fotografischen Material vertraut. Neben ihrer eigenen wissenschaftlichen und künstlerischen Praxis arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen Kunst und Vermittlung. Stefanie Pirker hat Lehraufträge für Fotografie an der Fachhochschule Salzburg, der Northern Illinois University und der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Geschichte der Fotografie, Exilforschung und die Re-kontextualisierung fotografischen Materials. Stefanie Pirker lebt und arbeitet in Salzburg und London.
Performance Archives: Erhalten, Zirkulieren, und Ausstellen
Dr. Vanessa Joan Müller (freischaffende Kuratorin)
„Live-Kunst ausstellen“
Für Live-Performances verwandelt sich die Kunstinstitution in eine Bühne. Später sind viele Live-Arbeiten über ihre Dokumentation „verfügbar“, tatsächlich werden seit den Wiener Aktionist:innen sogar viele performative Werke explizit für Fotografie oder Film und Video inszeniert. Zu diesen fotografischen und filmischen Aufnahmen als Substitut des ehemals physisch vor Ort Präsentierten treten manchmal skulpturale Props, Kostüme oder Kulissen hinzu. Auch schriftliche Handlungsanweisungen oder Scores tragen dazu bei, die abwesende Live-Darbietung im Format der Ausstellung zu rekonstruieren. Dass Museen als Speicherorte materieller Kultur sich in den letzten Jahren verstärkt den performativen Künsten zugewandt haben, hat jedoch ein Nachdenken nicht nur über Formen der Präsentation, sondern auch des Sammelns zur Folge gehabt. Wie kann eine Performance Teil einer traditionell objektbasierten Sammlung werden? Wie erhält Live-Kunst dauerhafte Präsenz – in der Erinnerung und in der Sprache statt nur in Objekten? Und wie verändert sich das Selbstverständnis, das hinter sammelnden Institutionen steht, wenn performative Werke gleichberechtigt in diese aufgenommen werden? Im Zentrum dieses Vortrags steht die Frage, wie der Moment des Aufführens über seine dokumentarische Aufzeichnung hinaus vom Jetzt in die Zukunft getragen werden kann.
Dr. Vanessa Joan Müller ist Kuratorin und Autorin. Sie unterrichtet, u.a. als Lehrbeauftragte an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Wien, und publiziert regelmäßig über zeitgenössische Kunst. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte und Filmtheorie an der Ruhr-Universität Bochum war sie Kuratorin am Frankfurter Kunstverein in Frankfurt am Main und Direktorin des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf. Von 2013 bis 2020 leitete sie die Abteilung Dramaturgie der Kunsthalle Wien. Seit 2020 arbeitet sie freiberuflich. 2024 hat sie die Ausstellungen „to display, to support, to care” (Universitätsgalerie, Universität für Angewandte Kunst) und „Unknown Familiars” (zusammen mit Philippe Batka, Leopold Museum) in Wien kuratiert.
Dr. Ulrike Hanstein (Professor Kunstuniversität Linz/VALIE EXPORT Centre)
„Verfahren der Selbstdokumentation bei VALIE EXPORT“
Mein Beitrag stellt die Archivbestände und die Arbeitsweise des VALIE EXPORT Centers Linz vor.
Seit den 1960er Jahren hat VALIE EXPORT zu ihren künstlerischen und kuratorischen Projekten ein umfangreiches Archiv angelegt. Seit 2015 ist das Archiv der Künstlerin Teil der Sammlung des LENTOS Kunstmuseum. Die persönliche Bibliothek und der umfangreiche Vorlass sind für Forscher:innen und Interessierte im VALIE EXPORT Center Linz _ Forschungszentrum für Medien-und Performancekunst zugänglich. Die konzeptuellen und prozessorientierten Kunstpraktiken der 1960er und 1970er Jahre haben traditionelle Auffassungen eines „Werks“ erweitert und vervielfältigt. Diese Erneuerungen schließen einen anderen Begriff von künstlerischer Arbeit ein: die Selbstdokumentation und Selbstorganisation erlangen neben neuen Formen der Verbreitung und Präsentation eine entscheidende Bedeutung. Das Archiv von VALIE EXPORT beruht auf einer jahrzehntelangen Arbeit des Aufzeichnens, der Recherche, des Sammelns und der Ablage. Die Bestände verdanken sich unzähligen Entscheidungen darüber, was aufgehoben wird (und was nicht), wie belassene Objekte aufgrund von Ähnlichkeiten verknüpft werden und wie sie eingeführten Kategorien zugeordnet werden. Durch Verfahren des Aufzeichnens, Dokumentierens und Archivierens erhalten prozessorientierte Kunstpraktiken wie Performances oder Expanded Cinema Aufführungen eine dauerhafte greifbare Form. Der enge Zusammenhang zwischen künstlerischen Prozessen und deren dokumentierender Bewahrung ist dabei als komplexe organisatorische, manuelle, konzeptuelle und kommunikative Arbeit an Deutungen und Überlieferungen aufzufassen, mit der sich VALIE EXPORT in Diskurse der zeitgenössischen Kunstwelt einschreibt. Die zukunftsgerichtete Arbeit der Selbstdokumentation ist Teil künstlerischer Produktionprozesse und erzeugt Wissen über ästhetische Verfahren. Künstler:innen-Archive können als Spuren von Interaktionen, als referenzielle Dokumentation prozessorientierter Kunst und als zeitlich ausgedehnte Prozesse der redigierenden und kuratorischen Arbeit an Überlieferungen untersucht werden.
Ulrike Hanstein ist Professorin für Kunst- und Medienwissenschaft an der Kunstuniversität Linz und leitet das VALIE EXPORT Center Linz _ Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst. Nach dem Studium der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen promovierte sie mit einer filmwissenschaftlichen Arbeit an der Freien Universität Berlin. Sie hat in Weimar, Jena, Wien, Leipzig, Köln und Linz gelehrt. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind feministische Film- und Videopraktiken, Performance Art, Konzepte des Dokumentarischen, Theorien der Gegenwartskunst, Künstlerinnen-Archive sowie Modelle und Methoden der Mediengeschichtsschreibung.
ROUNDTABLE DISCUSSIONS
(Englisch und Deutsch)
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*Österreichisches Forum für Vor- & Nachlässe bildender Kunst
(Elisabeth Gottfried und Susanne Neuburger)
Das Österreichische Forum für Vor- & Nachlässe bildender Kunst beschäftigt sich seit der Vereinsgründung im Frühjahr 2024 mit der Errichtung einer bundesweit wirkenden Beratungs- und Vernetzungsstelle. Im Rahmen des Symposiums stellt es seine Ziele und Anliegen im Dialog mit der Schweizerischen Beratungsstelle für Künstlernachlässe des Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) vor.