Crone Wien
curated by María Inés Plaza Lazo
María Inés Plaza Lazo, geboren 1989 in Guayaquil, Ecuador, lernte die kuratorische Praxis von Künstler*innen: Kuratieren als informelles Forschen, als erweitertes künstlerisches Handeln, als intersektioneller Klassenkampf und institutionelle Kritik. Ihr Denken wurde akademisch geformt, durch das Studium von Kunstgeschichte, Philosophie und Theaterwissenschaft an der LMU in München. Ihre anti-akademische Haltung praktiziert sie sowohl innerhalb von Kulturinstitutionen als Kommunikationsberaterin und Gastdozentin in unterschiedlichen Fakultäten der Geisteswissenschaften in internationalen Universitäten, Hochschulen für Kunst und Design, als auch außerhalb, als Publizistin und Editor-at-Large der mehrsprachigen Straßenzeitung für Kunst und Kultur, Reichtum und Armut, namens "Arts of the Working Class". Sie lebt und arbeitet zwischen Düsseldorf, Berlin und den Straßen der Welt.
Die im kurdischen Autonomiegebiet des Irak geborene Künstlerin Havîn Al-Sîndy arbeitet in Berlin, Düsseldorf und Kurdistan. Al-Sîndy studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und an der Kunstakademie Düsseldorf, wo sie 2018 ihr Meisterschüler*innen-Studium abschloss. Parallel studierte sie Biologie und Chemie an der Universität Duisburg-Essen. 2021 war sie Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg. 2022 wurde Al-Sîndy mit dem Egmont-Schaefer-Preis für Zeichnung ausgezeichnet und 2023 mit dem Preis der Helmut-Kraft-Stiftung zur Förderung der bildenden Kunst. Zurzeit lehrt sie an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig.
Havîn Al-Sîndys Arbeiten sind im Feld der Bildhauerei, der Malerei und der Bewegtbilder anzusiedeln. Sie beschäftigt sich mit künstlerischen und wissenschaftlichen Prozessen der Sichtbarmachung, findet Sprachen für das Schwer-Sagbare und die Ambivalenzen im Herstellen von Sichtbarkeit selbst. Dabei ist ihre Arbeitsweise prozesshaft und meist kollaborativ. Immer wieder steht der Dialog zwischen Generationen im Mittelpunkt – ein Sich-Füreinander-Interessieren und Aufeinander-Einlassen.
Shilpa Gupta (geboren 1976 in Mumbai, Indien) lebt und arbeitet in Mumbai. Guptas künstlerische Praxis umfasst ein breites Spektrum von Medien, darunter manipulierte Fundstücke, Videokunst, interaktive, computerbasierte Installationen und Performances.
Ihre künstlerischen Interessen kreisen um die Wahrnehmung und Übertragung von Informationen im menschlichen Leben. In ihrer Arbeit untersucht sie, wie Objekte, Orte, Menschen und Erfahrungen definiert werden. Dabei setzt sie sich mit den verschiedenen Dynamiken auseinander, die diese Definitionen prägen – zum Beispiel Grenzen, Etiketten, Zensur und Sicherheit.
Gupta hatte Einzelausstellungen im Contemporary Arts Center in Cincinnati, im Arnolfini in Bristol, im OK in Linz, im Museum voor Moderne Kunst in Arnheim, im Voorlinden Museum and Gardens in Wassenaar, im Kiosk in Gent, im Bielefelder Kunstverein, im La Synagogue de Delme Contemporary Art Centre und in der Lalit Kala Akademi in Neu-Delhi. Ihre Arbeiten wurden unter anderem auf der Venedig Biennale 2019, der Berlin Biennale 2014, der Sharjah Biennale 2013, der New Museum Triennale 2009, der Yokohama Triennale 2008 der Lyon Biennale 2009 und der Liverpool Biennial 2006 gezeigt. Im Jahr 2015 nahm sie an der gemeinsamen indisch-pakistanischen Ausstellung „My East is Your West“ teil, die von der Gujral Foundation in Venedig ausgerichtet wurde.
Der Schauspieler Ayham Majid Agha wurde 1980 in Syrien geboren und lebt in Berlin. Von 2005 bis 2012 war er Mitglied eines Theaterstudios, das interaktive Theaterprojekte in syrischen Dörfern aufführte. Zwischen 2006 und 2012 lehrte er an der renommierten Hochschule für Darstellende Künste in Damaskus, anschließend arbeitete er an verschiedenen Theatern in Damaskus, Manchester, Amman, Beirut, Kairo, Seoul und Hannover.
Bis zum Ende der Spielzeit 2017/2018 war Majid Agha als Schauspieler am Maxim Gorki Theater in Berlin in Sebastian Nüblings Inszenierung „In unserem Namen“, Heiner Müllers „Der Auftrag“ und „The Situation“ von Yael Ronen & Ensemble zu sehen. „The Situation“ wurde 2016 zum Theatertreffen eingeladen und von „Theater heute“ zum Stück des Jahres 2016 gewählt. Gemeinsam mit der Schriftstellerin Olga Grjasnowa kreierte Majid Agha die mehrteilige interaktive Kochshow „Conflict Food“ und leitete darüber hinaus seit 2016 das Exil-Ensemble am Maxim Gorki Theater, wo er auch sein Stück „Skelett eines Elefanten in der Wüste“ inszenierte.
Marcel Odenbach (geboren 1953 in Köln, Deutschland) ist ein Pionier der Videokunst und bis heute einer ihrer wichtigsten Vertreter. Ursprünglich studierte er Architektur und Kunstgeschichte und forschte über kollektive Verdrängungsmechanismen. Als Reaktion auf Lange-Zeit-Unausgesprochenes verweist Odenbach in seinen Videos und Collagen auf die Verbrechen des Nationalsozialismus, auf den Machtmissbrauch des DDR-Regimes und auf die Gräueltaten der Europäer in ihren ehemaligen afrikanischen Kolonien.
Odenbach lebt und arbeitet in Köln, Italien und Ghana. Für seine Collagen und Videos bedient er sich ähnlicher Herangehensweisen. Unter anderem greift er für beide auf Bilder, Texte und Illustrationen aus Zeitungen und Zeitschriften zurück. Seine großformatigen Collagen zeigen zunächst auf der Makroebene klar erkennbare Motive, entpuppen sich aber bei genauer Betrachtung als Zusammensetzungen von Hunderten von Einzelbildern.
2021 erhielt Marcel Odenbach den Wolfgang-Hahn-Preis der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig in Köln. 1987 waren seine Werke bereits auf der documenta 8 in Kassel zu sehen. Einzelausstellungen Odenbachs fanden statt im Kurt Tucholsky Literaturmuseum, Rheinsberg, im MAIIAM - Contemporary Art Museum, Chiang Mai, im Museum Folkwang, Essen, in der Galerie im Lenbachhaus, München, im Stedelijk Museum, Amsterdam, im Centre Georges Pompidou, Paris, in der Stichtig De Appel, Amsterdam, in der Bundeskunsthalle, Bonn, im Museum Ludwig, Köln, in der Kunsthalle Wien, in der National Gallery of Modern Art, Mumbai u.a.
Die Künstlerin Noara Quintana (geboren 1986 in Florianópolis, Brasilien) lebt zwischen São Paulo, Brasilien und Los Angeles, USA. In ihrer Praxis konzentriert sie sich auf die Materialität von Alltagsgegenständen und deren Beziehungen als Index für die Geschichte des globalen Südens.
Durch Installationen und Skulpturen verweist Quintanas Arbeit auf Spuren des Austauschs, Formen der Architektur und eine fortlaufende Neuinterpretation, die das Erbe des kolonialen Denkens in Frage stellt. Sie sieht in den Materialien und Formen von Gegenständen Spuren von Völkern, Praktiken und Identitäten und stellt die vergessenen oder verdrängten Gesten eines durch den Kolonialprozess geprägten globalen Südens in den Vordergrund.
Quintana schloss ihren MA in Bildender Kunst an der Staatlichen Universität São Paulo ab. Zu ihren jüngsten Projekten zählen Ausstellungen im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, im Museu de Arte de Santa Catarina, Florianópolis, im Pivô + KADIST, São Paulo, auf der Frestas Triennial, Sorocaba, und bei SAVVY Contemporary, Berlin. Zuletzt war sie Gastkünstlerin an der École des hautes études en sciences sociales, Paris, bei Pivô Art and Research, São Paulo, und 2020 am Institut Français Lauréate der Cité Internationale des Arts.
Pauł Sochacki (geboren 1983 in Krakau, Polen) lebt und arbeitet in Berlin. Seine Malerei bewegt sich auf den ersten Blick zwischen Abstraktion und Romantik. Vertraute Motive verführen mit Poesie und Humor zu komplexen Lesarten, in denen sich Fabelwesen und Zitate aus der Welt der Kunst zwanglos begegnen.
Obwohl seine Bilder manchmal kindlich und märchenhaft erscheinen, stellen sie oft eine scharfe Reflektion sozialer Verhältnisse dar, die Sochacki auch als Mitherausgeber des Straßenmagazins Arts of the Working Class beschäftigen. Soziale und kulturelle Wertesysteme nimmt der Künstler genauso in Augenschein wie politische und wirtschaftliche. Spitzfindig kommentiert er sie durch die unschuldig wirkende Motivwelt seiner Malereien.
Kandis Williams (geboren 1985 in Baltimore, USA) lebt als Künstlerin, Autorin, Redakteurin und Verlegerin in Berlin und Los Angeles. Ihre Collagen, Performances und Veröffentlichungen haben weltweit große Anerkennung erfahren.
Williams Werke befassen sich häufig mit zeitgenössischen kritischen Theorien, vorwiegend zu Rassismus, Nationalismus, Autorität und Erotik. Bei vielen dieser Themen schöpft sie aus ihren Erfahrungen, die sie in ihrer Jugend in Baltimore und später als Lehrerin machte, und die sie mit historischen Verweisen verbindet. Sie collagiert Bilder aus Zeitschriften und Archivmaterial, um stark strukturierte visuelle Dialoge zu schaffen.
Kandis Williams' Arbeiten wurden im MoMA, New York, im Brooklyn Museum, in der Joan Miro Foundation, Barcelona, im Hammer Museum, Los Angeles, im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, im VCU Institute for Contemporary Art, Richmond, auf der Venedig Biennale 2015 und auf der Whitney Biennal 2022 gezeigt. 2025 folgt eine Soloausstellung im Walker Art Center, Minneapolis. 2023 erhielt Kandis Williams das FOCA Fellowship Los Angeles, 2021 war sie Preisträgerin des Mohn Award der Foundation for Contemporary Arts, New York.
Der Künstler Philip Wiegard (geboren 1977 in Schwetzingen, Deutschland) lebt in Berlin und arbeitet hauptsächlich in den Medien Skulptur und Fotografie. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich mit Kleisterpapier. Nachdem er zahlreiche Buntpapiersammlungen in ganz Deutschland besichtigt hat, interessiert er sich vor allem für die Herrnhuter Kleisterpapiere und deren historische Produktions- und Vertriebsbedingungen. In seiner praktischen Arbeit versucht er, historische Muster zu reproduzieren, mit Schwerpunkt auf den performativen Aspekten des Entstehungsprozesses.
Seit 2013 realisiert Wiegard das fortlaufende Performance-Projekt „Kids’ Factory“, bei dem Kinder gegen Bezahlung handbemusterte Tapeten in der Kleisterpapiertechnik fertigen. Seine abstrakten Designs entstehen so aus einer „Ethik der Kooperation“ (Wolfgang Ullrich).
Crime as Ornament
Die Ausstellung bezieht sich auf den Essay „Ornament und Verbrechen“ des österreichischen Architekten und Publizisten Adolf Loos aus dem Jahr 1908, der als bedeutender Impuls für den damaligen Aufbruch in die Moderne gilt. Loos begründet darin seine Vision der reduzierten, schnörkellosen Form. Er geißelt die Verzierung als unerträgliche, degenerative Erscheinung der Aristokratie und des gehobenen Bürgertums, die sich wie ihre Schöpfer überlebt habe und durch nüchterne, sachliche Ehrlichkeit abgelöst werden müsse. Vom überbordenden, ornamentalen Geschmacksdiktat der europäischen Eliten unterscheidet er gleichzeitig die Ornamente „einfacher Kulturen“, die man heute dem „globalen Süden“ zurechnen würde. Ihnen billigt er Wahrhaftigkeit, Berechtigung und Schönheit zu.
Die Kuratorin María Inés Plaza Lazo stellt in der Ausstellung „Verbrechen als Ornament“ nun die Frage, in wie weit Loos' Postulat der überhebliche Ausdruck einer westlich kulturellen Hegemonie war, die fremde Ästhetik und Formensprache marginalisierte – oder aber, im Gegenteil, schon früh jene Differenzierung einforderte, die den aufrichtigen Respekt und die ungeteilte Anerkennung des „Anderen“ überhaupt erst ermöglicht. Insofern greift sie die Gedanken in dem diesjährigen Curated-by-Impulstext von Noit Banai auf, der sich mit kultureller Vielfalt und subjektiver Wahrnehmung von Schönheit auseinandersetzt und als Gegenthese zu Loos' rigider, strenger Vorstellung von Ästhetik verstanden werden könnte.
In den gezeigten Werken wird jedenfalls genau das sichtbar, worauf Banai verweist und was bereits bei Loos anklingt: Die Komplexität der Debatten, die wir heute über Identität, Repression und Bevormundung führen. Die tief in der Vergangenheit liegenden Wurzeln, auf die diese Debatten zurückgehen. Und der schwierig aufzulösende Widerspruch, der sich nicht nur aus unterschiedlichen kulturellen Prägungen ergibt, sondern immer auch aus Betrachtungsweisen, Wahrnehmungen, Einordnungen, Interpretationen – und Missverständnissen.
Text der Kuratorin
Die Komplexität menschlicher Erfahrung wird umso ungreifbarer, je mehr wir versuchen sie in Worten zu beschreiben. Nach den beiden Weltkriegen gehorchte die Vereinfachung universalistischer Imperativen. Diesem Drang nach Auslöschung von Parallelen, Ambivalenzen und Widersprüchen unterlagen das Sammeln, die Einrichtung von Archiven und auch die Gestaltung von Gebäuden wie diesem, in dem diese Ausstellung stattfinden wird: Sie alle sollten eine chronologische Sortierung der Welt aufrechterhalten; eine technokratische, imperiale Ordnung, die Machtstrukturen zugleich feiert und verbirgt.
Ausstellungsräume dienen aber auch der Stille sowie der Erzählung von Ungesagtem. Beide möchte ich den Gegenthesen zu Loos’ Vorstellungen in seinem kontroversen Essay, “Ornament und Verbrechen”, klarer, einfacher und einheitlicher Narrative zu Anfang des 20. Jahrhunderts hinzufügen. Loos’ Forderung nach Reduktion und Klarheit ist gefangen in einem alten Nervensystem; in Formen der Zugehörigkeit und Anerkennung, die nur für einen bestimmten Typus Bürger erdacht und durchgesetzt wurden. Diese Formen verändern sich zur Zeit gewaltsam, im Chaos alternativer, gemeinschaftlicher Versuche von Gesellschaftsgestaltung. Wir hatten die Möglichkeit, Geschichte und Gegenwart durch nichtbinäre, interspecies- und postkoloniale Perspektiven zu verstehen und zu vervielfältigen. Jetzt sind die verpassten Aufgaben präsenter denn je.
Ständig tauchen sie auf, Bilder von amputierten Kindern, auf den Glasoberflächen mobiler Handgeräte. Das Gefüge zwischen dem Sterben an einem entfernten Ort, einer technokratischen Struktur, die Ströme von Bildern dieses Sterbens orchestriert, sowie einer moralischen Ökonomie, in der diese Bilder als Tokens dienen, ist verworren, verstörend und monströs. Es gibt einen Riss in der sogenannten Zivilisation, der einem epistemischen Erdrutsch folgt, dessen Folgen weder absehbar noch navigierbar scheinen. Hilflos erleben wir tagtäglich als Zeug*innen, wie auf unseren Bildschirmen Verbrechen zu Ornamenten werden.
Loos’ Ablehnung von Ornamenten ist letztendlich Ausdruck einer westlichen kulturellen Hegemonie, die andere ästhetische Traditionen und Ausdrucksformen marginalisiert. Das mag sich heute relativiert haben. Doch geschieht die Anerkennung jener ‘anderen’ Ausdrucksformen nur entweder im Widerstand oder in ihrer Exotisierung, was die hegemoniale Ordnung nach wie vor aufrechterhält. Wien bietet heute eine vielfältige architektonische Mischung aus historischen Gebäuden, moderner Architektur und zeitgenössischem Design. Sie erlaubt, Kontinuitäten wie Brüche in Denkweise und Praxis im Bereich der Architektur, des Designs und der künstlerischen Produktion anschaulich nachzuvollziehen.
Der Text von Noit Banai für Curated By 2024 verdient nicht nur, den gedanklichen Rahmen dieses Festivals zu bestimmen, sondern auch direkt im Gespräch mit Kunstwerken zu stehen. Banais Plädoyer für eine vielfältige und inklusive Herangehensweise an Gestaltung und Geschichtsschreibung möchte ich im Widerspruch zu Loos’ rigiden Vorstellungen sehen. Indem sich Banais’ Argumentationen auf kulturelle Vielfalt und die subjektive Wahrnehmung von Schönheit und Ästhetik konzentrieren, stehen sie Loos’ Theorien über Ornamente unmittelbar entgegen. Subjektive Ästhetik ist nicht unbedingt das, was mich persönlich als Kuratorin interessiert; sie prägt auch nicht die Kunstwerke, die in der Galerie Crone versammelt sind. Eher zeigen diese Werke Formen der Kontemplation von Subjektivitäten nur insofern sie zwischen persönlichen Vorlieben, kultureller Zugehörigkeit und historischen Kontextualisierungen differenzieren.
In “Belle Epoque dos Tropicos” sucht Noara Quintana verlorene Symbole der europäischen Kolonialisierung Brasiliens. Der Kautschukanbau sowie die Wirtschaftskrise der Region betreffen nicht nur ihre ganze Familie, sondern prägen auch ihre künstlerische Arbeit. Diese basiert auf der Materialität alltäglicher Gegenstände, in denen geisterhafte Spuren kolonialer Imaginative wie Jugendstilfantasien wiederkehren, sowie die von Individuen, Praktiken und Identitäten, die von den neokolonialen Strukturen der Moderne zum Schweigen gebracht wurden. Quintanas Ornamente auf fluoreszentem Kautschuk verwickeln Exotisiertes und Extinktes, Anerkanntes und Unterdrücktes.
Die Wandtapeten von Philip Wiegard sind eine Art Präambel zur Ausstellung: Seine abstrakten Designs entstehen aus einer Ethik der Kooperation, wie Wolfgang Ullrich sie so schön in Wiegards Katalog seiner Soloausstellung im Schloss Gandegg beschreibt. [Zitat? Fußnote?] Die Muster bestehen aus disparaten Farben, Formen und Texturen. Sie werden immer von Kindern in sorgfältig vorbereiteten Workshops kollektiv bemalt. Wiegard bleibt der Initiator des Prozesses, der jedes Kind für seine Mitwirkung bezahlt. Loos sah in der Ornamentik einen kulturellen „Rückschritt“ (wohin eigentlich?) und betrachtete schlichte, unverzierte Formen als Ausdruck moralischer und intellektueller Integrität. Bei Wiegard steht das Ornament für eine universelle Offenheit für die Vielfalt der menschlichen Erfahrung und den Reichtum möglicher Perspektiven.
Die Malerei von Paul Sochacki lässt Fabelwesen und Zitate aus der Welt der Kunst einander zwanglos begegnen. Seine Malerei bewegt sich auf den ersten Blick zwischen Abstraktion und Romantik. Vertraute Motive verführen mit Poesie und Humor zu komplexen Lesarten. Tauchen wir in seine Geschichten ein, beginnen wir Zusammenhänge mit realen Situationen und ihrem sozialen Kontext zu erkennen. Obwohl Sochackis Bilder manchmal kindlich und märchenhaft erscheinen, stellen sie oft eine scharfe Reflexion sozialer Verhältnisse dar. Diese beschäftigt Sochacki auch als mein Mitherausgeber der Straßenzeitung Arts of the Working Class. In dieser Ausstellung wird er die verschiedenen Räume zu einem Gefüge der Spekulation über die Werte der Kunst verknüpfen.
Loos’ Begriff des "geschmackvollen Fälschers", mit dem er Künstler zu beschreiben versuchte, die in seiner Zeit Ornamente schufen, bringt mich zu der Arbeit von Marcel Odenbach. In einem experimentellen Umgang mit Film, Rhythmus, Sound und Sampling entwickelt Odenbach seit den 1970er Jahren eine spezifische Bildsprache unter Verwendung von Archivmaterial, Film- und Fernseh-Schnitten sowie selbst produzierten Bildern und Filmsequenzen. In seiner Serie „Außer Rand und Band“, die für den Hamburger Verein Griffelkunst entstand, ordnet er assoziativ oder thematisch korrespondierende Motive aus unterschiedlichsten Quellen an. Manche Schnittvorlagen stammen aus der Stürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger 2021 in Washington. Andere zeigen ein düsteres Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika. Mit der Aneignung der Form des historischen Tapetenmusters, das keinen Vorstellungen von Schönheit oder Dekoration folgt, sondern illustriert und dadurch kritisiert, stellt Odenbach einen Kontrast zu Loos und eine Nähe zu Sigrid Krakauers Essay „Ornament der Masse“ her, der Film und Fotografie als Ausdruck der neuen Ästhetik von Massenkultur analysierte.
Es gibt Dekorationen und Ornamente, die nicht durch erzwungene Modernisierung veralten, sondern durch ihre Nutzung. Shilpa Guptas Installation „Stars on Flags of the World“ entstand aus dem andauernden Interesse der Künstlerin an der Unbeständigkeit geografischer Markierungen und imaginärer Gemeinschaften, von Nationalität und Mobilität. „Wie kommt es, dass alle Länder ihren Bürgern erzählen, sie seien die besten?“, fragt Shilpa Gupta und zitiert dabei eine Zeile aus Benedict Andersons Buch "Imagined Communities“. Ein Haufen auf dem Boden ausgelegter Sterne lädt ein zu fragen, wie konkurrierende Nationalitäten sich überhaupt denselben Raum teilen oder in einen Dialog treten können. Jede*r kann die Sterne mit nach Hause nehmen. So bietet Gulpa eine inklusive Herangehensweise an die Frage der Zugehörigkeit und manipuliert Machtverhältnisse.
Die Ruinen der Modernisierung, auf die sich die Aufnahmen und die Musik beziehen, greifen direkt auf die falschen Versprechen moderner Fortschrittsversprechen zurück, die nicht nur die Architektur und das Bild von Städten wie Wien definieren, sondern auch die Ruinen der Kriege und Kolonien, die bis heute tiefere Kluften in unserer globalisierten Gesellschaft graben. Kandis Williams macht zur Skulptur die Beziehung zum Wort und Bild, in dem Themen wie Rassismus, soziale Gerechtigkeit und moralische Integrität den Mittelpunkt einnehmen. Die Bedeutung von Empathie in einer Gesellschaft, die von Vorurteilen und Ignoranz geprägt ist, wird in ihren „Readers“ und ihren Collagen betont, in denen sie das immer noch prägende soziale Ungleichgewicht zwischen weißen und rassifizierten Menschen in den USA zeigt. Diese Bilder der normalisierten Gewalt und Kriminalisierung schwarzer Körper sind an sich so alt wie Harper Lees „Wer die Nachtigall stört“ (1960), in dem die Protagonisten, Atticus und Scout, darüber sprechen, dass es eine Sünde ist, eine Nachtigall zu töten, weil sie einfach ihr Lied singen und niemandem Schaden zufügen. Die Nachtigall wird als Symbol für den schwarzen Farmarbeiter Robinson verwendet, der unschuldig war und niemandem Schaden zufügen, dennoch aber erschossen wurde. Die Nachtigall ist aber auch eine Figur, die Distanzen in dieser Ausstellung überbrückt. Die Nachtigall taucht auch in dieser Ausstellung immer wieder auf.
Pfeifen, zuhören, weitergeben, pfeifen, zuhören, wiedergeben, verstehen? Wer lernt von wem, wie zu pfeifen? Wie wird es in wessen Alltag eingesetzt, wie in Protesten und wann liegt im Pfeifen ein Potential zum Widerstand? Havîn Al-Sîndy nutzt unterschiedliche Werkzeuge, um alle bei der Frage von Kommunikation und Wissensweitergabe einzubeziehen. Die Arbeit „Im Nachklang“ behandelt das Pfeifen als eine Form des nonverbalen, codierten Austauschs zwischen Kindern, Robotern, Pilzen und Vögeln. Durch interaktive KI-Skulpturen entsteht eine Kakophonie von Erzählung und Ausdruck, die gleichzeitig gesellschaftliche Normen und Machtstrukturen hinterfragt, ähnlich wie bei Harper Lees literarischen Figuren, die die oberflächlichen Urteile und moralischen Verfehlungen der US-amerikanischen Gesellschaft enthüllen.
Ayham Majid Agha transformiert seine eigenen Texte im Stil anderer Dichter, und diese Übersetzung wird zum Ornament. Diese werden auf subtile Weise zwischen den Räumen integriert und damit die Stille zwischen den Versionen. Die Stille in der Geschichtsschreibung, in der bestimmte Geschichten unterdrückt werden, findet keinen Platz in Loos' Vorstellung von klaren, einfachen und einheitlichen Erzählungen in der Architektur. In der Ausstellung werden seine Gedichte zwischen den Werken präsentiert, die diese Gegensätze visuell und thematisch aufgreifen.
Media
Bilder
Paul Sochacki, The Matrix of Bourgeoise Art, 2023, Oil on canvas, 130 x 120 cm
Courtesy and copyright of the artist
Philip Wiegard, "Dreams That Money Can Buy", 2023, Installation view, Schloss Gandegg, Eppan/Appiano.
Photo: Tiberio Sorvillo, Courtesy of the artist.
Shilpa Gupta, "Stars On flags of the world", 2012, Pencil and digital print on Graph paper, 28,5 x 21 cm
Photo: Anil Rane, Courtesy of the artist