Crone Wien
curated by María Inés Plaza Lazo
María Inés Plaza Lazo, geboren 1989 in Guayaquil, Ecuador, lernte die kuratorische Praxis von Künstler*innen: Kuratieren als informelles Forschen, als erweitertes künstlerisches Handeln, als intersektioneller Klassenkampf und institutionelle Kritik. Ihr Denken wurde akademisch geformt, durch das Studium von Kunstgeschichte, Philosophie und Theaterwissenschaft an der LMU in München. Ihre anti-akademische Haltung praktiziert sie sowohl innerhalb von Kulturinstitutionen als Kommunikationsberaterin und Gastdozentin in unterschiedlichen Fakultäten der Geisteswissenschaften in internationalen Universitäten, Hochschulen für Kunst und Design, als auch außerhalb, als Publizistin und Editor-at-Large der mehrsprachigen Straßenzeitung für Kunst und Kultur, Reichtum und Armut, namens "Arts of the Working Class". Sie lebt und arbeitet zwischen Düsseldorf, Berlin und den Straßen der Welt.
Die im kurdischen Autonomiegebiet des Irak geborene Künstlerin Havîn Al-Sîndy arbeitet in Berlin, Düsseldorf und Kurdistan. Al-Sîndy studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und an der Kunstakademie Düsseldorf, wo sie 2018 ihr Meisterschüler*innen-Studium abschloss. Parallel studierte sie Biologie und Chemie an der Universität Duisburg-Essen. 2021 war sie Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg. 2022 wurde Al-Sîndy mit dem Egmont-Schaefer-Preis für Zeichnung ausgezeichnet und 2023 mit dem Preis der Helmut-Kraft-Stiftung zur Förderung der bildenden Kunst. Zurzeit lehrt sie an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig.
Havîn Al-Sîndys Arbeiten sind im Feld der Bildhauerei, der Malerei und der Bewegtbilder anzusiedeln. Sie beschäftigt sich mit künstlerischen und wissenschaftlichen Prozessen der Sichtbarmachung, findet Sprachen für das Schwer-Sagbare und die Ambivalenzen im Herstellen von Sichtbarkeit selbst. Dabei ist ihre Arbeitsweise prozesshaft und meist kollaborativ. Immer wieder steht der Dialog zwischen Generationen im Mittelpunkt – ein Sich-Füreinander-Interessieren und Aufeinander-Einlassen.
Shilpa Gupta (geboren 1976 in Mumbai, Indien) lebt und arbeitet in Mumbai. Guptas künstlerische Praxis umfasst ein breites Spektrum von Medien, darunter manipulierte Fundstücke, Videokunst, interaktive, computerbasierte Installationen und Performances.
Ihre künstlerischen Interessen kreisen um die Wahrnehmung und Übertragung von Informationen im menschlichen Leben. In ihrer Arbeit untersucht sie, wie Objekte, Orte, Menschen und Erfahrungen definiert werden. Dabei setzt sie sich mit den verschiedenen Dynamiken auseinander, die diese Definitionen prägen – zum Beispiel Grenzen, Etiketten, Zensur und Sicherheit.
Gupta hatte Einzelausstellungen im Contemporary Arts Center in Cincinnati, im Arnolfini in Bristol, im OK in Linz, im Museum voor Moderne Kunst in Arnheim, im Voorlinden Museum and Gardens in Wassenaar, im Kiosk in Gent, im Bielefelder Kunstverein, im La Synagogue de Delme Contemporary Art Centre und in der Lalit Kala Akademi in Neu-Delhi. Ihre Arbeiten wurden unter anderem auf der Venedig Biennale 2019, der Berlin Biennale 2014, der Sharjah Biennale 2013, der New Museum Triennale 2009, der Yokohama Triennale 2008 der Lyon Biennale 2009 und der Liverpool Biennial 2006 gezeigt. Im Jahr 2015 nahm sie an der gemeinsamen indisch-pakistanischen Ausstellung „My East is Your West“ teil, die von der Gujral Foundation in Venedig ausgerichtet wurde.
Der Schauspieler Ayham Majid Agha wurde 1980 in Syrien geboren und lebt in Berlin. Von 2005 bis 2012 war er Mitglied eines Theaterstudios, das interaktive Theaterprojekte in syrischen Dörfern aufführte. Zwischen 2006 und 2012 lehrte er an der renommierten Hochschule für Darstellende Künste in Damaskus, anschließend arbeitete er an verschiedenen Theatern in Damaskus, Manchester, Amman, Beirut, Kairo, Seoul und Hannover.
Bis zum Ende der Spielzeit 2017/2018 war Majid Agha als Schauspieler am Maxim Gorki Theater in Berlin in Sebastian Nüblings Inszenierung „In unserem Namen“, Heiner Müllers „Der Auftrag“ und „The Situation“ von Yael Ronen & Ensemble zu sehen. „The Situation“ wurde 2016 zum Theatertreffen eingeladen und von „Theater heute“ zum Stück des Jahres 2016 gewählt. Gemeinsam mit der Schriftstellerin Olga Grjasnowa kreierte Majid Agha die mehrteilige interaktive Kochshow „Conflict Food“ und leitete darüber hinaus seit 2016 das Exil-Ensemble am Maxim Gorki Theater, wo er auch sein Stück „Skelett eines Elefanten in der Wüste“ inszenierte.
Marcel Odenbach (geboren 1953 in Köln, Deutschland) ist ein Pionier der Videokunst und bis heute einer ihrer wichtigsten Vertreter. Ursprünglich studierte er Architektur und Kunstgeschichte und forschte über kollektive Verdrängungsmechanismen. Als Reaktion auf Lange-Zeit-Unausgesprochenes verweist Odenbach in seinen Videos und Collagen auf die Verbrechen des Nationalsozialismus, auf den Machtmissbrauch des DDR-Regimes und auf die Gräueltaten der Europäer in ihren ehemaligen afrikanischen Kolonien.
Odenbach lebt und arbeitet in Köln, Italien und Ghana. Für seine Collagen und Videos bedient er sich ähnlicher Herangehensweisen. Unter anderem greift er für beide auf Bilder, Texte und Illustrationen aus Zeitungen und Zeitschriften zurück. Seine großformatigen Collagen zeigen zunächst auf der Makroebene klar erkennbare Motive, entpuppen sich aber bei genauer Betrachtung als Zusammensetzungen von Hunderten von Einzelbildern.
2021 erhielt Marcel Odenbach den Wolfgang-Hahn-Preis der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig in Köln. 1987 waren seine Werke bereits auf der documenta 8 in Kassel zu sehen. Einzelausstellungen Odenbachs fanden statt im Kurt Tucholsky Literaturmuseum, Rheinsberg, im MAIIAM - Contemporary Art Museum, Chiang Mai, im Museum Folkwang, Essen, in der Galerie im Lenbachhaus, München, im Stedelijk Museum, Amsterdam, im Centre Georges Pompidou, Paris, in der Stichtig De Appel, Amsterdam, in der Bundeskunsthalle, Bonn, im Museum Ludwig, Köln, in der Kunsthalle Wien, in der National Gallery of Modern Art, Mumbai u.a.
Die Künstlerin Noara Quintana (geboren 1986 in Florianópolis, Brasilien) lebt zwischen São Paulo, Brasilien und Los Angeles, USA. In ihrer Praxis konzentriert sie sich auf die Materialität von Alltagsgegenständen und deren Beziehungen als Index für die Geschichte des globalen Südens.
Durch Installationen und Skulpturen verweist Quintanas Arbeit auf Spuren des Austauschs, Formen der Architektur und eine fortlaufende Neuinterpretation, die das Erbe des kolonialen Denkens in Frage stellt. Sie sieht in den Materialien und Formen von Gegenständen Spuren von Völkern, Praktiken und Identitäten und stellt die vergessenen oder verdrängten Gesten eines durch den Kolonialprozess geprägten globalen Südens in den Vordergrund.
Quintana schloss ihren MA in Bildender Kunst an der Staatlichen Universität São Paulo ab. Zu ihren jüngsten Projekten zählen Ausstellungen im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, im Museu de Arte de Santa Catarina, Florianópolis, im Pivô + KADIST, São Paulo, auf der Frestas Triennial, Sorocaba, und bei SAVVY Contemporary, Berlin. Zuletzt war sie Gastkünstlerin an der École des hautes études en sciences sociales, Paris, bei Pivô Art and Research, São Paulo, und 2020 am Institut Français Lauréate der Cité Internationale des Arts.
Pauł Sochacki (geboren 1983 in Krakau, Polen) lebt und arbeitet in Berlin. Seine Malerei bewegt sich auf den ersten Blick zwischen Abstraktion und Romantik. Vertraute Motive verführen mit Poesie und Humor zu komplexen Lesarten, in denen sich Fabelwesen und Zitate aus der Welt der Kunst zwanglos begegnen.
Obwohl seine Bilder manchmal kindlich und märchenhaft erscheinen, stellen sie oft eine scharfe Reflektion sozialer Verhältnisse dar, die Sochacki auch als Mitherausgeber des Straßenmagazins Arts of the Working Class beschäftigen. Soziale und kulturelle Wertesysteme nimmt der Künstler genauso in Augenschein wie politische und wirtschaftliche. Spitzfindig kommentiert er sie durch die unschuldig wirkende Motivwelt seiner Malereien.
Kandis Williams (geboren 1985 in Baltimore, USA) lebt als Künstlerin, Autorin, Redakteurin und Verlegerin in Berlin und Los Angeles. Ihre Collagen, Performances und Veröffentlichungen haben weltweit große Anerkennung erfahren.
Williams Werke befassen sich häufig mit zeitgenössischen kritischen Theorien, vorwiegend zu Rassismus, Nationalismus, Autorität und Erotik. Bei vielen dieser Themen schöpft sie aus ihren Erfahrungen, die sie in ihrer Jugend in Baltimore und später als Lehrerin machte, und die sie mit historischen Verweisen verbindet. Sie collagiert Bilder aus Zeitschriften und Archivmaterial, um stark strukturierte visuelle Dialoge zu schaffen.
Kandis Williams' Arbeiten wurden im MoMA, New York, im Brooklyn Museum, in der Joan Miro Foundation, Barcelona, im Hammer Museum, Los Angeles, im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, im VCU Institute for Contemporary Art, Richmond, auf der Venedig Biennale 2015 und auf der Whitney Biennal 2022 gezeigt. 2025 folgt eine Soloausstellung im Walker Art Center, Minneapolis. 2023 erhielt Kandis Williams das FOCA Fellowship Los Angeles, 2021 war sie Preisträgerin des Mohn Award der Foundation for Contemporary Arts, New York.
Der Künstler Philip Wiegard (geboren 1977 in Schwetzingen, Deutschland) lebt in Berlin und arbeitet hauptsächlich in den Medien Skulptur und Fotografie. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich mit Kleisterpapier. Nachdem er zahlreiche Buntpapiersammlungen in ganz Deutschland besichtigt hat, interessiert er sich vor allem für die Herrnhuter Kleisterpapiere und deren historische Produktions- und Vertriebsbedingungen. In seiner praktischen Arbeit versucht er, historische Muster zu reproduzieren, mit Schwerpunkt auf den performativen Aspekten des Entstehungsprozesses.
Seit 2013 realisiert Wiegard das fortlaufende Performance-Projekt „Kids’ Factory“, bei dem Kinder gegen Bezahlung handbemusterte Tapeten in der Kleisterpapiertechnik fertigen. Seine abstrakten Designs entstehen so aus einer „Ethik der Kooperation“ (Wolfgang Ullrich).
Crime as Ornament
Die Ausstellung bezieht sich auf den Essay „Ornament und Verbrechen“ des österreichischen Architekten und Publizisten Adolf Loos aus dem Jahr 1908, der als bedeutender Impuls für den damaligen Aufbruch in die Moderne gilt. Loos begründet darin seine Vision der reduzierten, schnörkellosen Form. Er geißelt die Verzierung als unerträgliche, degenerative Erscheinung der Aristokratie und des gehobenen Bürgertums, die sich wie ihre Schöpfer überlebt habe und durch nüchterne, sachliche Ehrlichkeit abgelöst werden müsse. Vom überbordenden, ornamentalen Geschmacksdiktat der europäischen Eliten unterscheidet er gleichzeitig die Ornamente „einfacher Kulturen“, die man heute dem „globalen Süden“ zurechnen würde. Ihnen billigt er Wahrhaftigkeit, Berechtigung und Schönheit zu.
Die Kuratorin María Inés Plaza Lazo stellt in der Ausstellung „Verbrechen als Ornament“ nun die Frage, in wie weit Loos' Postulat der überhebliche Ausdruck einer westlich kulturellen Hegemonie war, die fremde Ästhetik und Formensprache marginalisierte – oder aber, im Gegenteil, schon früh jene Differenzierung einforderte, die den aufrichtigen Respekt und die ungeteilte Anerkennung des „Anderen“ überhaupt erst ermöglicht. Insofern greift sie die Gedanken in dem diesjährigen Curated-by-Impulstext von Noit Banai auf, der sich mit kultureller Vielfalt und subjektiver Wahrnehmung von Schönheit auseinandersetzt und als Gegenthese zu Loos' rigider, strenger Vorstellung von Ästhetik verstanden werden könnte.
In den gezeigten Werken wird jedenfalls genau das sichtbar, worauf Banai verweist und was bereits bei Loos anklingt: Die Komplexität der Debatten, die wir heute über Identität, Repression und Bevormundung führen. Die tief in der Vergangenheit liegenden Wurzeln, auf die diese Debatten zurückgehen. Und der schwierig aufzulösende Widerspruch, der sich nicht nur aus unterschiedlichen kulturellen Prägungen ergibt, sondern immer auch aus Betrachtungsweisen, Wahrnehmungen, Einordnungen, Interpretationen – und Missverständnissen.
Events
Media
Bilder
Paul Sochacki, The Matrix of Bourgeoise Art, 2023, Oil on canvas, 130 x 120 cm
Courtesy and copyright of the artist
Philip Wiegard, "Dreams That Money Can Buy", 2023, Installation view, Schloss Gandegg, Eppan/Appiano.
Photo: Tiberio Sorvillo, Courtesy of the artist.
Shilpa Gupta, "Stars On flags of the world", 2012, Pencil and digital print on Graph paper, 28,5 x 21 cm
Photo: Anil Rane, Courtesy of the artist